Weihnachtsoratorium in Lübbecke aufgeführt
Bachs Geheimsprache der Töne
Zum Radiobeitrag über das Oratorium bei Augenblick Mal! klicken sie bitte
»hier»:
Fast bis auf den letzten Platz gefüllt war die Lübbecker St. Andreaskirche zur Aufführung des Weihnachtsoratoriums. Große und kleine Liebhaber klassischer Musik hörten ein großes Konzert, ein Festival frischer Frömmigkeit mit hohem musikalischen Anspruch und leidenschaftlichem Engagement aller Musizierenden unter der brillanten Leitung von Heinz-Hermann Grube.
Mit lebhaftem Tempo wurde das Weihnachtsoratorium ein Hörgenuss. Leicht, manchmal tänzerisch wurde Gott als Geheimnis dieser Welt gefeiert. Leichtigkeit und Tiefe durchdrangen sich gegenseitig und machten dieses Konzert zu einem besonderem Erlebnis. Ob religiös oder nicht, der Geheimsprache Bachs konnte sich nur entziehen, wer die berührende Nähe nicht zulassen wollte. Das Geheimnis Bachs, der wie kaum ein anderer mystisches Erleben und die Präzision eines Uhrwerks miteinander zu verbinden vermochte, breitete sich aus und machte die Weihnachtsgeschichte zu einer persönlichen Erfahrung.
Die Kantoreien von Lübbecke und Bad Liebenwerda wuchsen zu einer Einheit und sangen sich mit Sangesfreude und Präzision in die Herzen der Oratoriumsgemeinde. Unvermischt und ungetrennt wirkten Männer- und Frauenstimmen als Einheit. Kraftvolle Entschlossenheit wechselte sich mit feiner Zurückhaltung ab. Wuchtiges „Jauchzet, frohlocket“ und fragiles „Wie soll ich dich empfangen“ spannten den Bogen musikalischer Frömmigkeit.
Das hochkarätige Orchester Opus 7 unterstrich Leichtigkeit und Tiefgang der Aufführung.
Mal diente es zur Unterstützung von Chor oder Solisten, vielfach zeigten sie selbst ihr solistisches Format. Besonders erwähnt sei hier die 1. Geige , die sich in die Herzen der Hörenden strich, aber auch die Piccolotrompeten - besonders im „Ihr seid nun wohlgerochen“ - beeindruckten sehr.
Eike Tiedmanns professionelles Können überzeugte durch vielfältigen Ausdruck, mal mütterlich und zart, wie in „Schlafe, mein Liebster“ , mal kraftvoll und entschlossen sang sie die Arien und Rezitative, die nie langweilig waren.
Andreas Jören als Bass wirkte wie ein ruhender Pol in der Dramatik des Oratoriums und gab der Musik zusammen mit Roger Bretthauer, der souverän die Orgel spielte, Stabilität und Sicherheit. Kraftvoll führend und zugleich sanft, wie im Duett „Herr, dein Mitleid, dein Erbarmen“, wirkte er zusammen mit dem Sopran.
Zum besonderes Hörerlebnis wurde der Sopran Julia Dadkoush. In seltener Feinheit war sie das Herz des Konzertes und öffnete den Raum für Stille. Niemals aufdringlich, aber immer klar, ermutigte sie die Hörenden, ihrer eigenen Feinheit und Zartheit zu begegnen - eine sympathische, scheue Wahrhaftigkeit , die sehr viel Hochachtung verdient. Besonders beeindruckte sie gemeinsam mit dem jugendlichen Nachwuchs Johanna Grube als Echo in der Arie „Flößt , mein Heiland“, das wie ein Liebeslied von großer Feinfühligkeit zeugte. Die Schwächen des empfindsamen Tenors Wolfgang Tiedemann in den Höhen trübten den Gesamteindruck des Hörens nicht, er wurde von den anderen mitgetragen.
Das mystische Erleben fand seinen Höhepunkt im vorletzten Choral: „Ich steh an deiner Krippen hier“, den die Kantorei voller Gefühl vortrug. Tiefe Andacht erfüllte die ganze Kirche, und man mochte nur noch einstimmen, ja sagen zu dem, was dort gesungen wurde: „Ich steh an deiner Krippen hier, o Jesulein, mein Leben; ich komme, bring und schenke dir, was du mir hast gegeben. Nimm hin! Es ist mein Geist und Sinn, Herz, Seel und Mut, nimm alles hin, und lass dir’s wohl gefallen.“ Hingabe an das Kind in der Krippe, das ist Hingabe an das Leben, an die Liebe und ist nahe an der Wahrheit. Das Geheimnis der Töne wurde für viele zum Wunder der Weihnacht.
»Jauchzet, frohlocket«
Bachs Weihnachtsoratorium mit Gästen aus Bad Liebenwerda in der St. Andreas-Kirche
Von Cornelia Müller
Lübbecke (WB). »Jauchzet, frohlocket« - knapper, treffender, schöner kann man die Freude über die Geburt des Erlösers nicht zum Ausdruck bringen. Der Eingangschor von Bachs Weihnachtsoratorium fasst alles zusammen, worum es Weihnachten geht.
Als kurz nach der Wende erstmals Kantoreimitglieder aus Bad Liebenwerda in Lübbecke zu Gast sein konnten, um hier das Weihnachtsoratorium zu singen, bekam das »Jauchzet, frohlocket« noch eine ganz andere Bedeutung und kündete auch von der Freude über die neu gewonnene Freiheit.
20 Jahre später, bei der Aufführung des Weihnachtsoratoriums in der St. Andreas-Kirche am vergangenen Samstag, waren wieder Sänger und Sängerinnen aus Bad Liebenwerda dabei. Aus dem Konzert wurde damit auch so etwas wie eine Reise in die gemeinsame Vergangenheit, zurück sogar noch in eine Zeit vor dem Mauerfall.
»Durch das heutige Konzert wird das alles noch einmal sehr lebendig«, erinnert sich die ehemalige Kirchenmusikdirektorin Hiltrud Wolff, die damals die Aufführung leitete. »Bei dem Eingangschor ÝJauchzet, frohlocket! Auf, preiset die Tage!Ü - da lief es mir heute kalt den Rücken hinunter, und ich denke, das wird allen anderen, die damals dabei waren, genauso ergangen sein. Es ist schön, dass wir das 20-jährige Bestehen der Städtepartnerschaft gerade auch mit diesem Konzert feiern können.«
So erklang wieder einmal ein jubelndes »Jauchzet, frohlocket« aus fast einhundert Kehlen. Der gemeinsame Chor der beiden Kantoreien aus Lübbecke und Bad Liebenwerda sang sicher und kraftvoll, konnte sich aber auch zurücknehmen und ließ die nötige Innigkeit in den Chorälen nicht vermissen.
Von »matten Gesängen« (3. Kantate, »Herrscher des Himmels«) konnte nicht die Rede sein. Dabei hatten alle Mitwirkenden ein Mammutprogramm zu bestreiten, da alle sechs Teile des Weihnachtsoratoriums - unterbrochen durch eine halbstündige Pause, in der ein Imbiss und Getränke für die Konzertbesucher bereitstanden - aufgeführt wurden.
Heinz-Hermann Grube trieb Chor, Orchester und Solisten im zügigen Tempo durch die Aufführung und setzte den manchmal arg gefühlsseligen Texten ein deutliches Gegengewicht. Statt dessen betonte er den akklamatorischen Charakter des Werkes, in dem Bach Glückwunschkantaten für Könige und Fürsten als Vorlagen für seine Chöre und Arien wiederverwendete, frei nach dem Motto: »Musik für Könige und Fürsten ist gerade gut genug für den König, der als Heil der Welt in unsere Herzen einziehen möchte« (Heinz-Hermann Grube).
Einmal mehr hinterließ das junge Orchester »opus 7« einen sehr positiven Eindruck, weniger eindeutig fällt dagegen das Urteil über die Leistung der Solisten aus. Während Bass Andreas Jören und Sopranistin Julia Dadkoush sich gut in die Aufführung einfanden, Johanna Grube als Echosopran überzeugen konnte und Eike Tiedemann mit Wärme, Ausdrucksstärke und großer Klangschönheit eine glänzende Alt-Partie sang, fiel Wolfgang Tiemanns Leistung dagegen deutlich ab. Dem merklich indisponierten Sänger versagten die Höhen, was für seine Rolle als Evangelist besonders ins Gewicht fiel und den Gesamteindruck des Konzertes trübte. Viel Applaus gab es dennoch. Das Wunder der Weihnacht - in Bachs Oratorium wurde es verkündigt.
WB Artikel vom 21.12.2010