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»Ich bin in Sehnsucht eingehüllt«


Einfühlsam: Marlies Kalbhenn widmet sich deutsch-jüdischen Dichterinnen


Preußisch Oldendorf (cm). Für die Espelkamperin Marlies Kalbhenn ist die Auseinandersetzung mit der jüdisch-christlichen Geschichte in Deutschland ein Lebensthema geworden. Sieben deutsch-jüdischen Dichterinnen hat sie einen eigenen Literaturabend mit dem Titel »Ich bin in Sehnsucht eingehüllt« gewidmet.
Die Lesung fand am Sonntag im evangelischen Gemeindehaus zum 500-jährigen Bestehen der St.-Dionysius-Kirche statt.
Else Lasker-Schüler, Nelly Sachs, Gertrud Kolmar, Rose Ausländer, Mascha Kaleko, Hilde Domin und Selma Meerbaum-Eisinger: »Alle sieben sind ganz unterschiedlich, aber sie alle gehören zu den größten deutschen Dichterinnen«, so Marlies Kalbhenn. Bevor sie aus ihren Werken las, stellte Marlies Kalbhenn jeweils kurz die Biographie jeder Dichterin vor. Auf weitere Deutungen verzichtete sie. »Ich möchte Sie einladen, sich selbst in Ruhe mit dieser Lyrik auseinanderzusetzen.«
Die Texte, die Marlies Kalbhenn ausgewählt hatte, waren wunderbar sprachgewaltige Beispiele deutscher Liebesgedichte (Else Lasker-Schüler), Naturlyrik (Gertrud Kolmar) oder heiter-melancholischer Großstadtgedichte (Mascha Kaleko). Eines schwang jedoch immer mit: Das Jüdischsein der Dichterinnen, ihre Erfahrungen mit antijüdischen Anfeindungen, Ghettoisierung und Verfolgung. Die in Auschwitz ermordete Gertrud Kolmar etwa schreibt über ihre verzweifelte Sehnsucht nach dem gelobten Land (»Die Jüdin«). Diejenigen wiederum, die rechtzeitig vor den Nationalsozialisten fliehen konnten, treibt die Sehnsucht nach der verlorenen Heimat um (Hilde Domins: »Mit leichtem Gepäck«; Mascha Kaleko: »Frühlingslied für Zugereiste«).
Die jüngste der Dichterinnen, Selma Meerbaum-Eisinger, starb 1942 mit 18 Jahren in einem Arbeitslager in der Ukraine. Sie konnte ihr Werk nicht vollenden. Ihr Manuskript »Blütenlese« wurde erst viele Jahre nach ihrem Tod veröffentlicht. Der letzte Eintrag darin lautet »Das ist das Schwerste: sich verschenken und wissen, dass man überflüssig ist, sich ganz zu geben und zu denken, dass man wie Rauch ins Nichts verfließt.«
Marlies Kalbhenn machte mit ihrem einfühlsamen Vortrag neugierig auf die Werke Dichterinnen. Ihr Literaturabend erinnerte zudem an die unzähligen Biographien, die der Nationalsozialismus in Deutschland zerstört hat.
WBArtikel vom 30.03.2010

Von Trauer, Tod und Melancholie
Kalbhenn würdigt deutsch-jüdische Dichterinnen


VON IMME LOREK

Pr. Oldendorf. Die Espelkamper Autorin und Literatin Marlies Kalbhenn führte die Zuhörer im evangelischen Gemeindehaus jetzt in das Leben und Schaffen sieben deutsch-jüdischer Dichterinnen ein. Mit großem Einfühlungsvermögen verstand sie es, die teils schwer verständliche Lyrik dem Publikum nahezubringen.

Was sie am meisten an diesen Schriftstellerinnen fasziniere, seien deren „Lebenswege, Schicksale und Sprachmächtigkeit“. Sie halte diese Frauen für die bedeutendsten Lyrikerinnen ihrer Zeit, angefangen mit der ältesten und bekanntesten, Else Lasker-Schüler, über Nelly Sachs und Hilde Domin, bis hin zur jüngsten, Selma Meerbaum-Eisinger, die oft mit Anne Frank verglichen wird, da sie ein ähnliches Schicksal erlitt. Marlies Kalbhenn ist durch die Kriegserlebnisse ihres Vaters geprägt worden und seit Kindheit mit der deutsch-jüdischen Literatur vertraut. Sie war jahrelang Vorsitzende des Vereins für christlich-jüdische Zusammenarbeit in Münster. Dass dieses Thema ihr besonders ans Herz gewachsen ist, bewies sie mit ihrem fundierten Vortrag, in dem sie zunächst einen kurzen biographischen Überblick gab und dann die bekanntesten Werke der Lyrikerinnen rezitierte.

Der Titel „Ich bin in Sehnsucht eingehüllt“ war tonangebend für den gesamten Abend, der im Rahmen der Veranstaltungsreihe 500 Jahre St. Dionysius in Pr. Oldendorf stattfand.

Eröffnet wurde der Reigen der Dichterinnen mit der 1869 in Wuppertal-Eberfeld geborenen Else Lasker-Schüler, die zwar exotischer Mittelpunkt der Künstlerszene in Berlin war, jedoch verarmt und einsam ihr Leben fristete. Sie ist vor allem für ihre vielschichtigen Liebesgedichte bekannt, die sie teilweise noch mit über 70 Jahren schrieb. Für ihr lyrisches Werk erhielt sie den Kleist-Preis. In dem melancholischen Gedicht „An mein Kind“ verarbeitete sie die Trauer um den frühen Tod ihres Sohnes Paul.

Die 1891 in Berlin geborene Nelly Sachs fand durch eine unglückliche Liebe den Weg zum Schreiben und erhielt für ihr lyrisches und dramatisches Werk 1966 sogar den Nobelpreis für Literatur. Der Holocaust wurde ihr Hauptthema, nachdem auch ihre ehemalige Liebe dem NS-Regime zum Opfer gefallen war. Der sensiblen und unter Verfolgungsangst leidenden Schriftstellerin, die viele Jahre in einer psychiatrischen Klinik verbrachte, gelang es beispielsweise in ihrem „Gebet für den toten Bräutigam“ das sprachliche Entsetzen zu überwinden.

Auch die 1894 geborene Gertrud Kolmar setzt sich mit ihrem Jüdischsein erst durch die Konfrontation mit dem Nationalsozialismus auseinander, wie etwa in dem Gedicht „Ich bin fremd“ oder „Abschied“. Wie bei ihren Zeitgenossinnen ziehen sich auch bei ihr die Themen von Vergänglichkeit und Tod durch ihre Werke. Auch Rose Ausländer und Hilde Domin führen die Tradition ihrer Vorgängerinnen fort. Letztere bezeichnet sich als „Gradwanderer mit viel Welt, aber wenig Boden unter den Füßen“.

Als Auflockerung hingegen empfand das Publikum die Großstadtlyrikerin Mascha Kaléko, von der Marlies Kalbhenn für jedermann zugängliche Gedichte mit Reim und Witz über romantische Liebe vortrug.

Marlies Kalbhenn beendete den Abend, wie sie ihn begonnen hatte, mit einer Vertonung eines Gedichts von Else Lasker-Schüler, gesungen von Katja Ebstein, bevor sie das nachdenklich gestimmte Publikum aus dem Bann der großartigen Dichterinnen entließ.
NW 1.4.2010