„Habe meinen Traumberuf gefunden“
Anja Schubert
Bald viel mehr Zeit für Dackel-Rabauke Karl: Pfarrerin Wirwe Grau-Wahle
wird am Sonntag mit einem feierlichen Gottesdienst und anschließendem
Empfang in den wohlverdienten Ruhestand verabschiedet. Foto: Anja
Schubert
Rahden, 24. September 2022
Es sind nur noch wenige Tage, bis Rauhhaardackel Karl sein Frauchen ganz für sich vereinnahmen kann. Denn an diesem Sonntag wird Pfarrerin Wirwe Grau-Wahle in der Rahdener St.-Johanniskirche in den wohl verdiensten Ruhestand verabschiedet – mit einem feierlichen Gottesdienst und einem anschließenden Empfang.
Nach dem Vikariat im sauerländischen Warstein und einigen Jahren im Tecklenburger Land ist die heute 64-jährige seit Anfang September 1999 in Rahden tätig. „Zunächst als ,Pendlerin’, denn von 1997 bis 2007 war mein Mann als Standortpfarrer in Minden eingesetzt. Dort haben wir mit unseren beiden Töchtern auch gewohnt“, erzählt die 64-jährige, die aus gesundheitlichen Gründen eher als eigentlich geplant einen beruflichen Schlussstrich ziehen muss. Nach dem Wechsel ihres Mannes in den Schuldienst erfolgte der Umzug in die Auestadt. „Vier Personen und die Dackel“, betont sie lachend, denn Dackel begleiten die sympathische Pfarrerin schon seit ihrer Kindheit.
Altenseelsorge als Passion
In den fast 23 Jahren, in denen sie in der Kirchengemeinde Rahden ihre Wirkungsstätte fand, war der Schwerpunkt ihres Tuns vor allem die Seelsorge in den Senioreneinrichtungen. „Mein Mentor im Vikariat hatte meine besondere Eignung für die Altenseelsorge wesentlich früher erkannt als ich“, schmunzelt sie. Anfangs gehörten das Schloss Rahden, die Residenz, das Haus am Eibenweg, das Haus Rose in Wehe und das Seniorenheim Gärtner in Preußisch Ströhen zu ihrem Betätigungsbereich. Im Laufe der Zeit gingen die beiden letzteren an Pfarrer Dr. Roland Mettenbrink, während das St. Johannis-Zentrum, das Haus Ahlfeld 5 und der Uhlenhof sowie die Tagespflegen Arche und Ulmenhof nach und nach ihren Arbeitsalltag bereicherten. Dazu kam die Rahdener Frauenhilfe und 2018 der Gemeindebezirk von Pfarrer Hanns Meiners. „Ich konnte an allen Rahdener Predigtstätten Gottesdienst feiern“, ist sie froh, in den Predigtplan eingebunden gewesen zu sein. Auch wenn sie ihrer Berufung zur Altenseelsorge dadurch in etwas geringerem Umfang habe nachgehen müssen.
„Den Entschluss Pfarrerin zu werden, hab ich nie bereut“, sagt Wirwe Grau-Wahle, die seinerzeit bereits aus dem Verwandtenkreis heraus mit diesem Beruf vertraut war. „Es war die Abwechslung und die Vielfalt, die mich gereizt haben, die Begegnung mit Menschen unterschiedlichster Art und das meist in besonderen Situationen. Es war bewegend und berührend, sie auf einem Stück ihres Weges begleiten zu können.“ Altenheimseelsorge sei für sie schon immer etwas gewesen, wo sich neue Wege geöffnet hätten. „Ich hab meinen Traumberuf gefunden, denn wenn man etwas gefunden hat, was man gerne macht, dann bleibt man auch ausgefüllt und zufrieden dabei.“ Sie empfinde es mit Blick zurück zudem als ein besonderes Geschenk, mit Menschen zusammengearbeitet zu haben, die sich verstehen, einander wahrnehmen und akzeptieren.
Dass private Dinge durch ihren Beruf auf der Strecke geblieben sind – nein, das Gefühl habe sie nicht. „Unsere Töchter waren es von klein auf gewohnt, mich an Heiligabend zu bis zu sieben Gottesdiensten, die ich halten musste, zu begleiten“, ist Grau-Wahle heute noch erstaunt, wie selbstverständlich die Kinder den Ablauf der Festtage hinnahmen. „Dass andere Familien an Heilig Abend in Ruhe unterm Weihnachtsbaum Bescherung feiern, das haben sie erst viel später bei Freunden mitbekommen.“
Das Ausscheiden Grau-Wahles aus dem Pfarrdienst macht in der Kirchengemeinde Rahden größere Veränderungen erforderlich, denn die Pfarrstelle wird nicht wieder besetzt. „Es herrscht in den Generationen nach uns bundesweit ein unwahrscheinlich großer Pfarrermangel. Ich weiß nicht, warum dieser Beruf heute so wenig Attraktivität besitzt.“ Eine Reduzierung von Gottesdiensten in Präsenz in den einzelnen Ortschaften und in den Altenheimen, von Geburtstagsbesuchen bei den Senioren und (nicht zuletzt der Energiekrise geschuldet) eine Zentralisierung von Veranstaltungen in die Stadtmitte sind nur wenige Aspekte der Umstrukturierung des Gemeindelebens in der Kirchengemeinde Rahden (wir berichteten). Die absehbare Pensionierung zweier weiterer Seelsorger werde die Zahl der „Hirten“ von fünf (zusammen mit Pr. Ströhen) auf zwei schrumpfen lassen. „Der Weg, den die Kirchengemeinde Rahden nun einschlägt, ist zum einen die Folge des Pfarrermangels, zum anderen aber auch kleiner werdender Gruppen“, macht Grau-Wahle ein wenig bedrückt aufmerksam, dass Zusammenkünfte in den Frauen- und Abendkreisen immer spärlicher besucht seien. „Die höher Betagten sind mehr und mehr in ihrer Mobilität eingeschränkt oder versterben. Und neue, jüngere Frauen kommen in dieser umtriebigen Zeit kaum noch nach.“
„Wir haben derzeit keine andere Chance, um als Kirche nah bei den Menschen zu sein“, sagt sie auf die Frage, ob durch die erforderliche Zentralisierung und Online-Gottesdienste nicht gerade alte Menschen ,abgehängt’ würden, die mit der Kommunikation über die neuen oder sozialen Medien nicht vertraut sind. „Es wird niemand vergessen und wenn gewünscht, sind Seelsorger, Hauptamtliche und ehrenamtlich Mitarbeitende auch weiter für den Einzelnen da.“
Weiterhin in der Frauenhilfe aktiv
Angst vor Langeweile im Ruhestand hat Wirwe Grau-Wahle nicht: „Im Gegenteil. Ich bin neugierig, was das Leben nun für mich bereithält.“ Der Frauenhilfe werde sie treu bleiben und diese weiterhin leiten. Auch im Bezirksvorstand bleibe sie aktiv. „Ich habe außerdem einen zweieinhalbjährigen Enkel, zudem hält mich der kleine vierbeinige Racker ganz schön auf Trab“, lacht sie mit Blick auf Dackel Karl, der mit seinen neun Monaten gerade die Hundepubertät durchlebt. Und wer sich bei ihr zu Hause umblickt, erkennt angesichts der prall gefüllten Bücherregale ganz schnell eine Leidenschaft, für die nun ausgiebig Zeit ist: Das Lesen. „Zudem reise ich sehr gern. Das kann ich jetzt ganz spontan tun.“