Evangelischer Kirchenkreis Lübbecke

Worte der Besinnung für den 02. Advent 2023

Pfarrerin Christine Scheele

„Warum bist du gekommen, uns zu stören?“ wird Jesus vom Großinquisitor gefragt. Die Frage steht im Roman „Die Gebrüder Karamasow“ von Fjodor Dostoewski. In den beiden Figuren stehen sich Sanftheit und Machtwille gegenüber, ein offenes Herz und Hartherzigkeit, Friedfertigkeit und Gewalt. In der Welt der Gebrüder Karamasow scheitert Jesus ein zweites Mal.
Der Advent ist eine Zeit der Besinnung des Innehaltens und der Rückschau. Manche Dinge waren gut, einiges ist daneben gelaufen. Es tut gut, sich aus der Betriebsamkeit und Enge herauszunehmen und neu zu schauen, was gut war, wo wir gescheitert sind und was wir verbessern können, verbessert haben. Wo bin ich im letzten Jahr vielleicht Mitgefühl schuldig geblieben? Wo habe ich mich verschlossen vor dem Leid meines Gegenübers im Krankenhaus oder anderswo? Welchem Kollegen und welcher Kollegin habe ich nicht zugehört? – „Du bist ein Gott, der mich sieht! „So heißt es in der Jahreslosung für dieses Jahr. Das ist keine Drohung sondern eine Zusage. Wir sind nicht allein. Nicht allein mit der Sorge, mit dem Scheitern, den großen und kleinen Fehlern, der Freude, die sich über die Dinge legt. Gott sieht!
Da gibt es eine schöne Geschichte. Opa spielt mit seinen zwei Enkeln Karten. Das Spiel wird unterbrochen, Opa holt sich ein Glas Mineralwasser und ein Enkel muss austreten. Als das Spiel wieder aufgenommen wird, sagt dieser zu seinem Bruder: Du hast geschummelt! Du hast geschummelt. Opa weiß es nicht mehr so genau, sagt aber gewichtig: „Der liebe Gott sieht alles!“ Darauf antwortet sein Enkel: „Aber er verrät mich nicht.“
Gott sieht. Er sieht uns, aber er beschuldigt nicht, spricht kein Urteil, er fühlt uns. Das glaube ich. Gott hat Mitgefühl auch mit mir, sogar mit den anderen.
Ich glaube, unserer Gesellschaft täte es gut, einmal nicht zu bewerten, in Richtig und Falsch einzuteilen, nicht erst nach Schuldigen zu suchen, sondern mit Mitgefühl hinzuschauen.
„Warum bist Du gekommen, uns zu stören? „- Ja! Gott stört uns. Und das ist gut so. So können wir unsere Betriebsamkeit verlangsamen, besser erkennen. Wir wissen, Gott sieht, aber er bewertet uns nicht.
Das wünsche ich uns, dass wir mitfühlend erkennen, was ist, bei uns und bei den anderen.

Folgen wir doch dem Wochenspruch: Seht auf und erhebet Eure Häupter, weil sich eure Erlösung naht.


Pfarrerin Christine Scheele