Evangelischer Kirchenkreis Lübbecke

Worte der Besinnung für den 26. Juni 2021

Miriam Wegener-Kämper, Prädikantin in Nettelstedt

Da ist diese alte Geschichte. Eine spannende Geschichte von Liebe und Neid, von Macht und Güte. Immer wieder fesselt sie Kinder, Andrew Lloyd Webber verarbeitete sie erfolgreich zu einem Musical. Für den morgigen Sonntag ist das Ende der umfangreichen Erzählung aus dem Ersten Testament als Predigttext vorgeschlagen.
Es geht darin um Josef, den zweitjüngsten Sohn eines verwitweten Vaters mit insgesamt zwölf Söhnen. Josef, hat, wie der jüngste Bruder, eine Sonderrolle beim Vater inne und muss nicht wie die anderen Brüder in der väterlichen Landwirtschaft arbeiten. Er hat eine lebhafte Fantasie und wilde Träume - oder einen besonderen Draht in eine andere Wirklichkeit.

Den Älteren ist er ein Dorn im Auge. Sie neiden ihm die Nähe zum Vater und die Kleider, die nie von der Feldarbeit schmutzig werden. Besonders aber verärgert sie seine kindlich-naive Schilderung von Träumen, in denen er über sie herrscht. Irgendwann reicht es ihnen: Josef muss weg! Die Brüder verkaufen ihn an eine vorbeiziehende Karawane und erzählen dem Vater, er sei getötet worden.

Josef kommt nach Ägypten und über Umwege zu großem Einfluss. Schließlich ist er, der Träumer, Stellvertreter des Pharao. Als seine Brüder aufgrund einer Hungersnot in ihrer Heimat nach Ägypten reisen, um dort Getreide zu kaufen, treffen sie aufeinander. Es folgt der finale Showdown: Was wird Josef tun, da er nun tatsächlich die Macht hat, von der er als Kind träumte? Wie wird er mit ihnen, den Brüdern, umgehen, die ihm so übel mitgespielt haben? Sie foltern, zu Sklaven machen oder ihnen „nur“ das lebensnotwendige Getreide verweigern? Sie rechnen mit dem Schlimmsten.

Doch es kommt ganz anders: „Fürchtet euch nicht! Bin ich etwa Gott? Ihr hattet Böses für mich geplant. Aber Gott hat es zum Guten gewendet.“ (1. Mose 50,19f.)
Ganz knapp fasst Josef zusammen, was ihm widerfahren ist. Dass er nicht vergessen hat, was seine Brüder ihm angetan haben. Er beschönigt nichts, schmerzhafte Erinnerungen bleiben.

Doch Josef entscheidet sich, auf Gottes treues Wirken in seinem turbulenten Leben, auf dessen gutes Ergebnis zu schauen: Wer er heute ist, ist er, weil alles genau so war, wie es war. Und darum kann und will Josef seinen Brüdern nun helfen.

Nicht über erfahrenes Unrecht zu verbittern oder auf noch so berechtigten Ausgleich, auf Vergeltung zu sinnen, das möchte ich von Josef lernen. Die Vergangenheit, die nicht zu ändern ist, Vergangenheit sein lassen - Enttäuschungen, Verletzungen, auch das eigene Scheitern und Versagen. Mit dem Gestern Frieden machen, damit ich heute und morgen befriedet leben kann - mit mir, mit anderen. (Nicht nur) Ein Traum!


Miriam Wegener-Kämper, Prädikantin in Nettelstedt